Wieder ein Text zu einer Ausschreibung; diesmal zur Antagonisten FTW vom Chaospony-Verlag:

DIE NETZ-HEXE

Als meine Zwillingsschwester und ich unseren achten Geburtstag feierten, organisierte meine Mutter für diesen sonnigen Julitag eine kleine Gartenparty: Zuerst feierten wir mit einigen Kindern aus der Nachbarschaft, etwas später kamen meine Großeltern. Ich hatte mir eine Ratte gewünscht und mein Vater sagte zu diesem Wunsch nichts, während meine Mutter leicht den Mund verzog. Annabelle dagegen wollte eine Schminkpuppe, die damals gerade in Mode war. Beide Geschenke hatten wir nicht von unseren Eltern erhalten und warteten so sehnsüchtig auf die Präsente der Großeltern. Bella, wie meine Schwester meist genannt wurde, durfte sich auch über ihr Wunschgeschenk freuen, als sie das rosarote Einwickelpapier entfernt hatte. Ich hingegen – erhielt ein verspieltes gelbes Kleid.

„Damit sie mal eine etwas freundlichere Ausstrahlung hat!“ sagte Oma, als ich das pastellblaue Papier zur Seite schlug und das Kleid zum Vorschein kam. Meine Mutter brachte mich auch gleich nach drinnen, um es mir überzuziehen, und es passte wie angegossen.

Enttäuscht ließ ich mich danach auf den Gartenstuhl plumpsen und weder die Komplimente meiner Familie noch ein weiteres Stück Torte konnten mich so richtig aufheitern.

Dennoch schlug der Tag dann eine für mich positive Wende – als ich die Dinge nämlich selbst in die Hand nahm, heimlich beim Teich der Nachbarn eine fette Kröte fing und sie meiner Schwester am Abend ins Bett setzte, um meinen Frust loszuwerden. An meinen Großeltern konnte ich mich schlecht rächen, das wäre zu riskant gewesen.

Bis heute habe ich Annabelles spitzen Schrei nicht vergessen, und auch die Strafe eines mehrtägigen Hausarrestes konnte diese Genugtuung nicht mindern.

Schon damals mussten meine Eltern vor neuen Bekannten immer erklären, dass Annabelle und ich Zwillinge waren – zweieiige Zwillinge. Ich hatte das Aussehen und angeblich auch das Wesen von meiner Großmutter väterlicherseits, die aber schon lange tot war.

Sie hätte eine Begabung zur schwarzen Magie besessen, wie die Leute immer munkelten. Immer wieder hatte ich gehofft, wie sie zu sein und „Magie“ zu besitzen, doch sooft ich es im Laufe der Jahre auch versuchte, kam nie etwas heraus bei all meinen Zaubersprüchen und Wünschen.

Auch, was den Charakter anging, waren wir grundverschieden: Bella in jeder Hinsicht das attraktive Vorzeigekind, das sich heldenhaft schon in der Schule für soziale Projekte engagierte.

Und ich so ziemlich das Gegenteil – außerdem mit einer seltsamen Vorliebe für allgemein als eklig geltende Tiere wie Schlangen, Spinnen oder Ratten.

Wir akzeptieren uns als Schwestern, und obwohl Bella gerne mehr mit mir gemacht hätte, da das einfach ihrer anhänglichen Art entsprach, ging ich ihr in der Schule aus dem Weg.

Die Spötteleien meiner Klassenkameraden, dass meine Mutter wohl mal einen Totengräber gevögelt hatte, um mich zu zeugen, ließen in unserer Teenagerzeit bald nach – als Joey Myers daraufhin nach dem Sportunterricht in eine Unterhose voll flüssigen Pechs schlüpfte und Gemma Artland der lange Zopf bis in den Nacken abgeschoren wurde, als wir im Zeltlager übernachteten. Keiner traute sich, mich zu verpetzen, denn ich scheute auch eine kleine Schlägerei nicht, was mir zwar keine Beliebtheit, aber einen gewissen Respekt verschaffte – und Genugtuung. „Wenn sie dich nicht mögen, können sie dich immer noch fürchten!“

Und dann trat Rory Bladnik in unser Leben.

Alle Jungs in der Klasse waren mir zu brav und zu langweilig gewesen, sodass ich auch in der Abschlussklasse noch unerfahren wie ein Mauerblümchen war und die wenigen, die sich für mich interessierten, von mir gestoßen hatte. In meinem Fall wohl eher: Wie ein Goth-Blümchen. Ich war zwar nicht nur schwarz angezogen, kultivierte aber Make-up, Haare und teils den Musikgeschmack dieser Szene.

Rory kam als neuer Schüler hinzu. Er war groß, gut gebaut und trug meist enge schwarze Jeans und eine dunkle Jacke über einem lässigen T-Shirt. Seine blauen Augen standen im Gegensatz zu den etwas zu langen, aber akkurat frisierten rabenschwarzen Haaren. Er hatte ein schiefes Lächeln, das jedes Mädchen und den einzigen schwulen Jungen in unserer Klasse in die Knie zwang, wirkte manchmal verrucht. Auf eine seltsame Weise vereinte er das Image „Lieblingsschwiegersohn“ wie auch „aufregender, leicht gefährlicher Typ“ in sich. Als ich ihn zum ersten Mal sah, spürte ich sofort ein sehnsüchtiges Ziehen im Magen.

Mir war klar, dass sich dieses Wunder auf zwei Beinen niemals für mich interessieren würde. Doch es gab auch eines, was dieses Wunder nicht konnte: Nämlich Chemie.

Und um meine letzte Aktion zu tilgen, das mehrfache verbotene Rauchen auf dem Schulgelände, wurde ich dazu verdonnert, ihm eine Zeit lang zweimal die Woche nach der Schule Chemie-Nachhilfe zu geben.

Bei jedem anderen Schüler hätte ich einen Weg gefunden, das Weite zu suchen, denn darauf hätte ich nie Bock gehabt – in diesem Fall aber fügte ich mich. Rory Bladnik! Das war etwas ganz anderes.

Nach drei Wochen Unterricht, die erstaunlich gut verliefen und in denen ich angefangen hatte, die dumme Hoffnung zu nähren, Rory könnte vielleicht auch auf mich stehen, da er nett zu mir war, machte ich den großen Fehler, ihn mit nach Hause zu bringen. Ich hatte ein für den Unterricht wichtiges Buch vergessen und lud ihn ein, mit mir zu kommen, um dort unsere Lehrstunde fortzusetzen.

Ich wurde mir meines Fehlers in dem Moment bewusst, als Bella die Küche betrat, in der ich gerade mit Rory am Tisch saß und lernte. Tja, was soll ich sagen? Großer Film-Moment! Keine Woche später waren die beiden zusammen. Und ihr Glück nährte meinen Hass.

Ich redete kein Wort mehr mit meiner Schwester, der das aber ob ihres Liebesglücks kaum auffiel. Ein paar Wochen später, nur kurz nach dem Abschluss, verschwand ich aus ihrem Leben. Ich packte, als meine Familie gerade nicht daheim war, meine Sachen, holte bei einem Bekannten das klapprige Auto ab, das ich ein paar Tage vorher heimlich für ein paar hundert Dollar gekauft hatte, und verließ für immer die Stadt. Nicht, ohne zuvor eine komplette Dose PU-Schaum aus dem Baumarkt in den Auspuff von Rorys Wagen zu entleeren. Der nächste Start sollte seines Autos Ende sein.

Die ersten Tage in der neuen Stadt verbrachte ich bei einem Typen, den ich in einem Schnellrestaurant aufgegabelt hatte. Dieser nahm mir sowohl meine Unschuld als auch die Illusion, dass ich jemals einen Typen wie Rory haben könnte.

Ich jobbte als Kellnerin, während ich weiter überlegte, was ich nun beruflich machen sollte, und tat schließlich, was zu jemandem wie mir passte und mich irgendwie reizte: Ich machte nichts mit Chemie, fing aber eine Ausbildung zur Bestatterin an, und es gefiel mir tatsächlich ganz gut.

Die Nachrichten und Anrufe meiner Eltern und meiner Schwester ignorierte ich so lange, bis eines Tages ein Privatdetektiv vor meiner Tür stand. Ich teilte meiner Familie, die ja nun wusste, wo ich wohnte, durch ihn und per Brief mit, dass ich keinen weiteren Kontakt wünschte. Dennoch hatte ich die Handynummern meiner drei Anverwandten eingespeichert, sodass ich durch die aktualisierten Whatsapp-Profilbilder und Statusnachrichten sah, was in deren Leben so los war, und hin und wieder konnte ich es auch nicht lassen, mich selbstquälerisch auf Facebook davon zu überzeugen, dass Bella und Rory noch zusammen waren.

Auch beruflich kam ich natürlich nicht an unsere strahlende Heldin heran, die nach einem erstklassigen Schulabschluss ein Studium durchzog, um Kinderärztin zu werden. Außerdem engagierte sie sich ehrenamtlich für benachteiligte Familien in unserer Stadt.

Wenn ich doch einmal mit dem Glück anderer – Kollegen oder sonstiger der wenigen Menschen, die mein Leben touchierten – in Berührung kam, versuchte ich, es abzuwerten, indem ich gehässige Kommentare abgab, zu ignorieren oder manchmal auch zu torpedieren, wenn es mir möglich war.

Die Zeit verging, unseren gemeinsamen 25. Geburtstag ignorierte ich wie die meisten anderen Geburtstage zuvor.

Zwei Tage später checkte ich, wie so etwa zweimal im Jahr, das Profil von Annabelle in den sozialen Medien. Ich lümmelte auf dem standesgemäß schwarzen Sofa vor dem Fernseher, zog mir mit einem Auge einen Horrorfilm rein und hatte das andere auf dem Display meines Handys.

Fast fiel es mir vor Schreck aus der Hand, als ich Bellas neues Profilbild sah: Sie lächelte in die Kamera, beide Hände auf ihren Bauch gelegt und ein Herz formend. Der hinter ihr stehende Rory lächelte genauso treudoof glücklich und hatte seine Hände zu denen auf Bellas Bauch gelegt. Die Kommentare darunter strotzen nur so vor Glückwünschen zur Schwangerschaft – und ihr neuer Status lautete „verlobt“. Fast wünschte ich, das nicht gesehen zu haben, denn dieser Stachel durchdrang den mir über die Jahre aufgebauten Panzer um mein schwarzes Herz – und das mit einer Leichtigkeit, die mich erschreckte!

Und als ich das Foto anstarrte, war es plötzlich, als wäre ich hypnotisiert. Ich nahm nichts mehr um mich herum wahr, das Fernsehgeräusch trat in den Hintergrund, und ich war berauscht vom Hass, der in mir aufwallte, und von dem mir fast schlecht wurde. Ich konnte nur denken „Ich wünschte, ihr wärt tot!“ Ich musste das Bild eine ziemliche Zeit angestarrt haben, denn als ich wieder zu mir kam und in die Realität zurückkehrte, war der Film längst zu Ende und es draußen stockdunkel.

Ich löschte das Licht, ging ins Bett und fühlte trotz des Hasses, der mich soeben noch besessen hatte, plötzlich einen seltsamen Frieden in mir.

Am nächsten Abend rief meine Mutter mich an, was an sich schon seltsam war – und aus einer noch seltsameren Laune heraus nahm ich den Anruf sogar an. Eine kurze Begrüßung später erfuhr ich, dass Bella und Rory am späten Vorabend einen Autounfall gehabt hatten. Ein LKW-Fahrer war am Steuer eingeschlafen und hatte ihren Wagen frontal gerammt. Rory starb noch am Unfallort, Bella lag schwer verletzt in der Klinik und hatte ihr Baby verloren.

Weinend beschwor mich meine Mutter, trotz allem doch herzukommen, sie würden mich wirklich brauchen. Meine Schwester würde mich brauchen. Ich fühlte ob dieser Nachricht eine seltsame Leere. War es das, was ich mir gewünscht hatte? Ich hatte gewollt, dass Bella und Rory nicht mehr zusammen waren, dass sie auch kein Kind bekamen. Aber so?

Nachdem ich tatsächlich bei Rorys Beerdigung und einem Teil von Bellas Genesung dabei gewesen war, die damit endete, dass sie eine Narbe in ihrem schönen Gesicht zurückbehielt, kam ich wieder ins Grübeln.

Soweit ich herausgefunden hatte, besaß Grandma ihre magische Begabung, die die meisten Leute natürlich angezweifelt und sie stattdessen für eine Egozentrikerin gehalten hatten, auch erst ab ihrem 25. Geburtstag.

Ich musste herausfinden, ob ich mich da in eine seltsame Idee hineinsteigerte oder ob tatsächlich etwas Wahres an dem Gedanken war, der in mir aufkeimte. Konnte ich nun, da ich 25 Jahre alt war, hexen? Und wenn ja: Wie hatte ich das gemacht?

Ich hatte nicht gewollt, dass meine Schwester ein derart hartes Schicksal ereilte, nur, dass sie ein bisschen bestraft wurde. Was konnte ich noch bewirken? Wozu war ich fähig? Gab es Grenzen?

Mein erster Test, kaum zurück auf der Arbeit, war das Auferwecken von Toten. Warum nicht groß anfangen? Wenn ich ja vielleicht schon so etwas Krasses vollbringen hatte können. Wenn das klappen würde …

Doch den Mann in den späten Fünfzigern, den ich heute für seine Beerdigung zurechtmachen musste, konnten weder das intensive Fixieren mit meinem Blick noch Berührung noch gemurmelte Worte dazu bringen, die Augen aufzuschlagen, sich umzusehen, seinem Sarg zu entsteigen und mit den Worten „Einen schönen Tag noch“ das Beerdigungsinstitut zu verlassen.

Das war schade, doch vorhersehbar gewesen. Genährt von der – ja, ich gebe es zu – Hoffnung, Rory für meine Schwester wieder aufzuerwecken, wo es doch gut möglich war, dass ich ihn zu den Toten befördert hatte. Oder auch für mich aufzuerwecken, wenn er dann erkannte, dass er doch besser bei mir sein sollte. Gemein sein konnte ich ja schließlich, wenn er wieder da wäre, immer noch …

Auch „Light“-Versuche wie das hypnotische Anstarren des Bediensteten im Coffeeshop, um meinen rabenschwarzen Kaffee nicht bezahlen zu müssen, fruchteten nicht. Vielleicht … war ich ja doch nicht Schuld am Unglück meiner Schwester? Einen letzten Test wollte ich noch wagen. Am Abend saß ich wieder mit meinem Handy auf der Couch vor einem Horrorfilm und hörte halbherzig dem Kettensägengeräusch und den Schreien aus meinem TV-Gerät zu, während ich auf dem Smartphone herumtippte.

Schließlich loggte ich mich bei meinem Online-Banking-Portal ein und starrte auf den leicht ins Minus gerutschten aktuellen Kontostand. Ich konzentrierte mich, wünschte im Geheimen, schloss die Augen, warf wieder einen Blick auf das Display – und es passierte: Nichts.

Enttäuscht ging ich an diesem Abend ins Bett, doch irgendwie war das Ganze ja zu erwarten gewesen.

Als ich am nächsten Morgen versuchte, Geld abzuheben, und hierfür noch einmal am Bankautomaten schnell den Stand meines Kontos checkte, um auszurechnen, wie weit ich mit der neuesten Abhebung genau ins Minus geraten würde – erstarrte ich. Der Bankautomat zeigte einen aktuellen Kontostand von 99.700 Dollar an.

Auch, nachdem ich voller Hektik das Portal fürs Online-Banking auf meinem Handy aufgerufen hatte, wurde dieser Kontostand bestätigt. Dreihundert Dollar war ich im Minus gewesen, 100.000 waren bar einbezahlt worden. Und kurz darauf fand ich in den Mails eine Nachricht meines zuständigen Bankberaters bezüglich meines hohen Kontostandes. Ausgewiesen war dieser als Bareinzahlung und meine Berater wollte hierfür gerne einen Nachweis vorgelegt haben. So ein Mist! Woher sollte ich denn einen Nachweis für etwas vorlegen, dessen Herkunft ich mir selbst nicht erklären konnte? Aber wenn ich online den Kontostand hatte aufpolieren können, konnte ich doch vielleicht auch …

Ich konzentrierte mich auf die E-Mail-Adresse des Bankberaters und ließ diese flüssige, schwarze Kraft in mir aufsteigen. Kurz darauf erreichte mich eine weitere Mail des Beraters, in der er sich für das an meine schnelle Antwortmail angehängte beglaubigte Dokument über einen Lottogewinn bedankte und mir mitteilte, dass ich die restlichen 2.900.000 Dollar jederzeit auch direkt am Schalter einzahlen könnte.

Am späten Nachmittag betrug mein Kontostand 2.999.700 Dollar. Mehr als fünfzig Jahresgehälter.

Drei. Millionen. Dollar!

Trunken vor Verwirrung und auch vor Freude wankte ich an diesem Abend nach Hause.

Meine Schwester tat kurz drauf das, was man von ihr als vorbildlichem Menschen fast erwartete: Sie ging nach ihrer Genesung ins Ausland, um dort als Ärztin bei einem Kinderhilfswerk zu arbeiten und so den Tod von Mann und Kind zu verarbeiten. Trotz ihrer Sensibilität bewies sie Stärke und meine Eltern waren wieder einmal stolz auf sie, die Heldin.

Gut, ich konnte keine Toten erwecken – also: Zeit, sich anderen Dingen zuzuwenden! Die ich noch wollte.

Und was ich wollte, war zuerst eine optische Rundumerneuerung. Ich meldete mich, da ich ja jetzt Geld hatte, bei einem Schönheitschirurgen an und bekam das volle Programm: Fettabsaugung, Brustvergrößerung, Modellierung von Kinn und Wangen. Ein Besuch bei der Kosmetikerin und einem Friseur, der meine Haare in einem satten Dunkelbraun färbte und leicht dauerwellte, vervollständigten mein neues Aussehen.

Als die letzten Schwellungen nachgelassen hatten, swipte ich jeden Abend auf einer Dating-App und suchte mir ein paar Kandidaten heraus, die optisch ein Bisschen in Richtung Rory gingen. Ich hatte vor allem hierdurch bemerkt, dass meine Kräfte zwar von Anfang an klar und stark vorhanden waren, sich aber auf das Internet beschränkten: Ich hatte den Unfall durch das Anstarren des Facebook-Bildes ausgelöst, den Geldgewinn durch das meines Online-Banking-Accounts. Und auch hier war es so: Ich schaffte es, online einige Leute anzuziehen – und einige der echten Dates ernüchterten mich ganz klassisch, einige ernüchterte aber auch ich, denn live und ich Echt musste ich ja trotz meines verbesserten Äußeren den Charaktertest bestehen. Zwei kamen in die engere Wahl und ich in ihre – und einer wurde schließlich mein Freund, weil er mich tatsächlich samt meiner Schrullen mochte und wahrscheinlich auch wegen meines jetzt attraktiven Äußeren: Matt, ein Buchbinder und Nerd. Aber ein ziemlich cooler, der zwei Ratten zu Hause hatte und schwarz als Lebenseinstellung betrachtete.

Meinen Job als Bestatterin behielt ich, auch, wenn kaum jemand mein neues Äußeres begreifen konnte, vor allem nicht die wenigen Leute, die ich dort kannte. Aber niemand wagte es, über meine Schönheits-OP zu lachen.

Und es erboten sich weitere vielfältige Möglichkeiten – zum Beispiel der Rache:

Der fette Besitzer des Schnellrestaurants, in dem ich vor meiner Lehre für einige Zeit gearbeitet hatte, hatte mir immer einmal wieder „zufällig“ an den Hintern gefasst, und ich hatte alle Kraft aufbieten müssen, um ihm nicht ins Gesicht zu schlagen, da ich den Job damals wirklich brauchte.

Ich hatte kürzlich gesehen, dass eine bestimmte Firma in seinem Restaurant Renovierungsarbeiten durchführen sollte. Wie immer musste ich mich nun konzentrieren und in meinen hypnoseartigen Zustand versetzen, als ich eine bestimmte Seite zum Login in einen E-Mail-Account aufrief – dann füllten sich automatisch die Felder für Benutzer und Passwort auf dem Bildschirm vor mir und ich war im Account meines alten Chefs (durch regelmäßige Übung vertieften sich auch meine Hexereikünste, wie ich bemerkt hatte). Die dortige Mail an die Renovierungsfirma änderte ich ab und sendete sie erneut mit dem Betreff „Änderung“. Bald darauf konnte sich mein Chef über ein innen und außen rosa gestaltetes Restaurant mit dem neuen Schriftzug „Hurensohn“ über der Tür freuen – einschließlich dem Wirtschaftsprüfer, der das sofort ablehnte. Danach durfte er für zwei Wochen in die Psychiatrie, denn allem Anschein nach hatte er diesen Umbau ja selbst in Auftrag gegeben.

Und auch einige andere frühere und aktuelle Feinde und Nerver mussten in ähnlichen Stilen bezahlen.

Eines Abends kam mir die Idee, noch mehr zu machen. Ich hatte jetzt im Grunde alles, was ich wollte. Aber konnte man mit meinen Kräften nicht noch viel Genialeres anstellen?

Ich besuchte Hacker-Websites, las mich kreuz und quer durchs Netz, überlegte. Schließlich rief ich die entsprechende Seite einer Sicherheitsfirma auf und konzentrierte mich, bis ich in deren System eingeloggt war und den Admin-Zugriff hatte. Dann änderte ich die Position der Kameras im Kunstmuseum unserer Stadt und stellte sie kurz danach gleich wieder zurück, damit es niemandem auffiel. Wie schade: Gerne hätte ich mir mit dieser Methode von dort ein bestimmtes Kunstwerk „geholt“, um mir den Spaß zu gönnen, unseren Besuchern zu erklären, dass das eine echt gelungene Reproduktion wäre. Doch dazu hätte ich Matt oder eine andere Person für den Diebstahl mit hineinziehen müssen – und das wäre meinen Freunden sicher zu illegal gewesen.

So klinkte ich mich nur in die Website einer anderen Sicherheitsfirma ein, von der mir meine arrogante Nachbarin eines Tages stolz erzählt hatte, schaltete mich auf den Server und zog mir einen Mitschnitt von 24 Stunden aus der Überwachungskamera besagter Nachbarin und ihres Mannes, die sich nach außen hin so stolz profilierten, vor allem in den Sozialen Medien alles supertoll darstellten, sich aber mit nur mühsam beherrschten Stimmen jeden Abend anbrüllten, sodass ich es gerade noch hören könnte. Sie behandelten alle von oben herab (mich eingeschlossen) und warfen vor den Augen ihres Kindes mit Gegenständen, wie ich einmal durchs Fenster gesehen hatte. Den Film-Mitschnitt stellte ich dann auf den Instagram-Account der Familie (und zwar öffentlich) und spielte eine Kopie dem Jugendamt zu, woraufhin eine Sozialarbeiterin an der Tür der Familie klingelte. Als ich das mitbekam, konnte ich mir ein schadenfrohes Lächeln nicht verkneifen.

Und wie ging es weiter? Nach einiger Zeit zogen Matt und ich in ein großes, altes, dunkles Haus.

Werden wir eines Tages ein paar schwarz liebende Kinder bekommen? Wer weiß!

Ihr werdet sicher wissen wollen, was ich ob meiner Fähigkeiten des Internetzaubers nun noch alles tue, was ich alles tun kann! Inhalte löschen oder neue verfassen, um die Politik zu beeinflussen? Das Weltgeschehen ändern? Es eröffnete sich ja so einiges!

Tja, ich muss euch enttäuschen: Ich tue nur, was ich persönlich will. Und ein Teil dessen ist bereits erfüllt worden. Was noch kommt? Bestimmt einiges – wenn mein Leben es mal wieder erforderlich macht oder ich einfach Lust dazu habe. Wer weiß – vielleicht werde ich auch noch richtig größenwahnsinnig und feuere aus Langeweile einfach eine Atomrakete ab …

Aber ich bin keine Bella und werde mit meinen Fertigkeiten nie so verfahren, wie sie es tun würde – also erwartet es auch nicht von mir. Seht euch lieber vor und behandelt mich gut, falls wir uns einmal begegnen! Denn wer weiß, was sonst morgen zufällig passiert – und was sie euch zaubert, die mürrische, schlaue Hexe im Netz