Zwischen Weihnachten und Dreikönig ist es wieder soweit:
Die Raunächte sind um diese Zeit.
Die meisten Menschen sind drin im Warmen,
trinken Tee am Feuer oder halten sich in den Armen.
Spätestens zur Nacht ist niemand mehr draußen,
alles wird verriegelt – innen und außen.
Es sollen wilde Nächte sein mit schaurigen Gestalten,
die draußen ihrer Grusligkeiten walten.
Zwischen Silvester und Dreikönig soll offen sein das Geisterreich –
und so mancher erlaubt sich einen morbiden Streich.
Mit Perchtenläufen und Silvesterfeuerwerk
wollen wir abschrecken – sogar den kleinsten Zwerg.
Unverheiratete Frauen sollen aber nachts zum Kreuzweg gehen,
denn dort sollen sie ihren Zukünftigen sehen.
Ansprechen ist allerdings nicht erlaubt,
sonst werden sie ihres Lebens bald beraubt!
Tiere im Stall – zur Nacht jetzt der menschlichen Sprache Herrn,
können sich nun über Ungerechtes beschwer’n.
Und ihre Halter sollen dafür gerechte Strafe erhalten!
Die Dämonen ihrer Ämter walten!
Auch Fasten und Gebet für viele dazugehört,
auf dass kein böser Geist ihre Häuser stört.
Ich schließe die Türe nicht ab, sondern auf,
gehe zur Nacht bergan, den dunklen Bergwald hinauf.
Die Taschenlampe fest in der Hand –
die Füße in den Bergschuhen im sicheren Stand.
Ich kann nur meinen Atem hören,
niemand wird mich hier und jetzt stören.
Zumindest nicht ein menschliches Wesen!
Vielleicht aber eine Hexe auf ihrem Besen?
Ich weiß nicht – und mir ist auch nicht bang,
im Gegenteil: Ich schreite mit festem Gang!
Im Herzen rein, mit gebeichteten Sünden,
muss ich nämlich kein schlechtes Gewissen ergründen.
Geister, kommt nur, ich will euch schon sehen,
doch dann kommt ein Windhauch, der wird euch verwehen!
Und Waldschraten, ich fühle euch im Unterholz stehen –
ich kann eure funkelnden Äuglein sehen!
Doch ihr traut euch nicht heraus.
Die Begegnung mit mir ist wohl ein Graus!
Und wo sind meine guten magischen Elfen?
Werden sie mir im Zweifelsfalle helfen?
Wahrscheinlich schlafen sie aber im Elfenreich,
nur mit gespiegeltem Firmament in ihrem Teich.
Ich habe eine zweite Lampe im Rucksack dabei,
denn totale Finsternis wäre mir hier nicht einerlei.
Ich würde nicht die Hand vor Augen sehen –
und bald erbärmlich frieren im Stehen.
Keuchend erreiche ich den Gipfel,
es lichten sich der schwarzen Nadelbäume Wipfel.
Jetzt sehe ich auch das Firmament, den Mond,
der riesig und voll im Zenit am Himmel thront.
So habe ich ihn noch nie gesehen – so mittig und so weit oben,
als habe ihn die Hand der Geister hochgehoben!
Im Tal höre ich schon vereinzeltes Pfeifen,
wie von angestochenen alten Reifen.
Eilig hole ich den Rucksack vom Rücken,
um mich nach meinem Räucherwerk zu bücken.
Ich entzünde es auf einem Stein,
der Weihrauch steigt auf, klar und rein.
Ich spüre die Wärme, rieche den Rauch,
atme ganz tief ein, bis in den Bauch.
Bis mein Geist und Körper sind durchdrungen,
bis das letzte Restchen an Schlechtem aus mir ist gewrungen.
Und ich mich ebenso fühle – klar und rein.
Und spüre einfach nur diesen Augenblick, dieses Sein.
Im Tal pfeifen und rauschen jetzt die Raketen,
durchschneiden Nacht und Finsternis wie Macheten.
Die Menschen unten tauchen die Nacht kurz ins Licht,
doch hier oben – sind nur die Geister und ich.
Mir ist nicht bang, mir wird innerlich warm,
Ich nehme mich quasi selbst in den Arm.
Und genieße diesen kalt-warmen Moment,
bis er tief in meiner Seele brennt.
Ich warte, bis alles wieder wird dunkel,
höre der Zwerge aufgeregt-empörtes Gemunkel.
Aber es war ja nur eine ganz kleine Störung,
also legt sich auch bald die Empörung.
Ich packe zusammen und breche auf,
verfalle wieder fast in einen Lauf.
Denn langsam wird auch mir jetzt kalt,
im silvesterlichen Bergwald wird man doch nicht alt!
Ich sehne mich nach meinem Gemäuer,
nach dem Kamin, dem offenen Feuer.
Ich sehne mich nach einem heißen Tee.
Wenigstens liegt heute nicht auch noch Schnee!
Und im Büro werden sie bald fragen:
Wie war’s bei dir an den Feiertagen?
Der eine Kollege war im Süden – der andere nur drin.
Also ist diese geheimnisvoll-kalte Nacht doch ein Gewinn!
Wann sind schließlich die Geister alleine schon mein …!?
Ich werde einfach sagen: Ach, ich war daheim!